#Auszeit 28.3. Sibyl Quinke

Laudanum

Die Butzenscheiben erlaubten dem letzten Tageslicht auf seinen Schreibplatz zu fallen. Hermann Schedel hatte es noch genutzt. Und jetzt war der Brief an seinen Freund fertig. Er nahm die Büchse und streute Sand auf das Papier. Er klappte das vor ihm liegende, so sorgsam gehütete, Buch zu. Es enthielt seine Sammlung von Zubereitungen, die er mit sehr viel Fleiß über Jahre zusammen getragen hatte; ein Kleinod. Er hatte nicht nur Arzneien kopiert, die er in Nürnberg und seinem Umland zusammentragen konnte, sondern alles, was ihm fern der Heimat begegnete und ihm wichtig erschien. Sein Interesse galt schon von je her, Mitteln, die kranken Menschen halfen. Einiges hatte er besonders bei seinen Universitätsaufenthalten kennengelernt und erfahren. Wie ein Eichhörnchen hatte er konsequent alles notiert, was ihm wichtig erschien und in sein Kompendium aufgenommen. Oft diskutierte er seine Erkenntnisse ausführlich mit seinem Vetter Hartmut, insbesondere wie das ein oder andere. Es war seine Leidenschaft, sein Wissen um Heilmittel zu mehren. Aber auch andere nützliche Rezepturen, wie zum Beispiel von Tinte, die er sich regelmäßig selbst aus Galläpfeln und rostigen Nägeln herstellte, faszinierte ihn.
Das heutige Schreiben war an Conrad Celtis gerichtet. Sie hatten fast gleichzeitig in Padua, dieser modernen Universität studiert, sich aber nie persönlich kennengelernt. Aufgrund ihrer ähnlichen Erfahrungen, hatte Conrad Celtis, der Winzersohn und Humanist, Hermann Schedel in Nürnberg angeschrieben. Sie pflegten einen Briefwechsel, in dem sie sich gerne und regelmäßig austauschten. Es entwickelte sich ein für beide Seiten erquicklicher Dialog und Diskurs. So hatten sie sich mit der Zeit sehr schätzen gelernt und schließlich war daraus eine Freundschaft erwachsen. Und nun bat Conrad Celtis den Nürnberger Arzt um einen Rat. Er suchte nach einem wirksamen Mittel gegen die vielen Pusteln, die seine Haut überzogen. Sie plagten ihn schon seit einiger Zeit. Conrad ersehnte sich eine Erlösung von diesem Übel, diesen Beschwerden. Viel Hoffnung machte ihm Schedel jedoch nicht. Die medizinischen Erfahrungen zeigten, dass, einmal ausgebrochen, sich diese Efflorenzen, wie Schedel sie für sich nannte, immer wieder aufbrachen. Aber eine Salbe könnte Linderung schaffen, und eine solche Rezeptur wollte er ihm senden. Die Bestandteile könnte Conrad auf dem Markt in Padua erwerben und sich von einem Apotheker mischen lassen. Hermann hatte damit schon einigen Patienten geholfen, doch dauerhaft würde das Leiden nicht verschwinden. Schedel vermutete nach der Beschreibung seines Freundes, dass dieser sich vor langer Zeit mit der Franzosenkrankheit angesteckt hatte, so dass er nur einen Balsam zur Erleichterung empfehlen konnte, die Krankheit heilen, nein, dafür wusste er auch keinen Rat.
Und so hatte er den Brief gerade beendet und klappte seine Sammlung zu. Dieses Kompendium, ein Schatz wohlgehüteter, meist medizinischer Weisheiten, war heiß begehrt. So hatte zum Beispiel schon Anton Koberger danach gefragt, ob er es vervielfältigen dürfe. Erst vor kurzem war es diesem Zeitgenossen gelungen, sich in diese ganz neue Technik einzuarbeiten, die erlaubte, Schriften zu drucken. Revolutionär die Vorstellung, dass innerhalb kürzester Zeit dieses Werk in vielleicht 100 Exemplaren zur Verfügung stehen würde und damit viele Menschen Zugang zu dem Wissen erhalten würden. Diesen Gedanken musste er mit seinem Vetter Hartmann besprechen.
Hermann ließ seinen Blick durch das Zimmer schweifen. Das letzte Licht, das durch das große Fenster fiel, ließ die Maserung des Holzes, mit dem der Raum ausgekleidet war, besonders schimmern. Die Musterung der kleinen runden Glasscheiben warfen Muster auf die Holzbank, die an der Wand befestigt war und an der Seite am Kamin endete, so dass man bei kühleren Tagen die Wärme im Rücken hatte. Immer, wenn die Mägde in der Küche kochten, heizte dies auch seine Studierstube, und es wurde angenehm warm. Es ging ihm gut. Er war mit seinem Leben zufrieden. Er eine große Reputation genossen als er als Leibarzt von Friedrich III von Brandenburg gearbeitet hatte, viel Respekt hatte man ihm entgegengebracht, aber Nürnberg war nun einmal seine Heimatstadt, und da hatte es ihn vor kurzem wieder hingezogen. 


Die Laurentia aus dem Südturm der Sebaldiuskirche hatte ihr Marktläuten längst beendet. Mariella begleitete ihren Herrn, Eberhart Mellinger, auf seinem Gang zum Hauptmarkt. Sie folgte ihm mit einem Korb in gebührendem Abstand, wie es sich als Magd gehörte. Ihre Trippen klackerten über das feuchte Pflaster, doch der Klang wurde immer wieder dumpf, wenn zu viel Abfall oder Fäkalien den Boden bedeckten. Ihr Weg führte regelmäßig über einen kleinen Umweg zur Sebaldiuskirche, die gerade zum Angelus läutete und zum Gebet einlud. Auch heute folgte Mariella ihrem Herrn, als er das Gotteshaus betrat, zu einem kurzen Gebet niederkniete und anschließend eine Opferkerze ansteckte, bevor sie ihren Weg zum Marktreiben fortsetzten. Es war ein Ritual, was er gerne wiederholte. Nach Seide wollten sie schauen, es war heute das Objekt seiner Begierde. Sie sollte aus der Levante eingetroffen sein. Aber dann verhielt sich ihr Herr wieder so merkwürdig.
„Mariella, warum fliegen die grünen Vögel wieder so tief?“
Da wusste sie, dass sie umkehren und rasch nach Hause eilen sollten. Es wäre schrecklich, wenn ihr Herr auf der Straße, vor all den Leuten, einen Anfall erleiden würde. Gut und stattlich sah er aus, der Herr Eberhart Mellinger. Normalerweise und im allgemeinen wusste ihr Herr sich vornehm zu kleiden. Heute trug er über seiner Cotte seine blaugefärbte Suckenie, diesen Überrock.Die Ärmel fielen in Streifen vom Ellbogen hinunter zu den gepflegten Händen, allerdings versteckte der überweite Mantel die filigranen Verzierungen. Dazu trug er einen fein gearbeiteten Brokatgürtel, an dem Dusings hingen. In einer dieser taschenähnlichen Gebilde hatte er zum Beispiel seine Geldkatze gesteckt. Mit diesem Gürtel konnte er den Rock bis zu den Knien hochziehen, damit dieser beim Gang durch die Straßen nicht beschmutzt würde. Unter seinen Poulines, seinen Schnabelschuhen, hatte er Trippen aus Holz geschnallt. Heute, am Markttag, bevölkerten nicht nur Einwohner von Nürnberg die Stadt. Auch zahlreiche Menschen aus dem Umland hatten den Weg in das Handelszentrum gefunden hatten. So lag besonders viel Unrat in den Straßen. Eberhart Mellinger griff zusätzlich nach seinen Rock an den Seiten, um ihn hochzulupfen. Die zertrampelten Pferdeäpfel und weiterer Schmutz waren ihm ein Graus und strapazierten außerdem die seidenen Schnabelschuhe. Und jetzt, bei der Eile, schienen die oberschenkellangen Beinlinge, wieder zu rutschen. Das merkte Mariella an seinem Gang. Ja, ihr Herr war vornehm. Als Patrizier war er glatt rasiert und trug sein Haar schulterlang offen. Er machte etwas her, doch wenn ihm wieder die grünen Vögel begegneten, dann war es nur noch Mariella, die ihm helfen konnte. Sie kannte ihn und wusste, wann sie ihn umgehend nach Hause weisen sollte. In schlimmen Fällen half Hermann Schedel, und heute war so ein Tag.
Die grünen Vögel folgten ihrem Herrn. Er reagierte extrem nervös. Mariella griff ebenfalls an die Seiten, um ihre Cotte aus Nessel und den Surcot aus Leinen zu heben. Ihre Trippen passten ihr gut, so dass sie mit ihnen sehr rasch gehen, ja fast laufen konnte. Nur ihre Hände waren nicht mehr frei, um das große, braune Wolltuch, was noch von ihrer Großmutter stammte, fest um ihre Schultern zu halten. Es war ein Kampf mit ihren Röcken, dem Korb und dem Tuch. Ihr Zopf flog nur noch nach hinten, und sie ging, nein sie lief, ihm rasch hinterher. Sie hatte Last, den langen Schritten ihres Herrn zu folgen.

Er schien ihr auch nicht mehr zuzuhören. Dennoch schafften sie es rechtzeitig über die Fleischbrücke. Die Pregnitz führte Hochwasser, aber noch nicht so viel, dass es das Stadtleben beeinträchtigte. Eberhart Mellinger jagte weiter bis fast zur Lorenzkirche. Für sie hatte er heute keinen Blick, obwohl er ihrem Bauvorgang sonst großes Interesse entgegenbrachte – nicht zuletzt auch, weil er wie andere reiche Bürger Nürnbergs, eine große Summe Geld für den Bau bereitgestellt hatte. Mariella bog mit ihrem Herrn in die Karolinenstraße, und sie erreichten das Haus gerade noch rechtzeitig, bevor er hinfiel. Sie versuchte ihn noch auf eine Bank in der Küche zu legen, aber da verdrehte er schon die Augen, zuckte und krampfte. Mariella konnte gerade noch ein Stück Stoff, das auf der Bank lag, zusammenzuknoten und ihm in den Mund schieben. Gleichzeitig vernahm sie Rufe, nein es waren wieder Schreie. Es war ihre Mutter, die im Gartenschuppen lebte; das hatte ihr der Herr Eberhart erlaubt. Ihm konnte sie im Moment nicht weiter helfen und nur wie durch Wolken drangen die schrillen Laute ihrer Mutter zu ihr. Sie sollte sie auch beruhigen, aber jetzt hatte Eberhart Mellinger Vorrang. Das war der Moment, in dem Mariella den Korb in die Küche warf, ihre Cotte raffte und sich sofort auf den Weg zu Hermann Schedel machte, und jetzt polterte sie an der Tür des bekannten Arztes, und zwar so heftig, dass dieser nicht abwartete, bis sein Hausdiener ihm mitteilen würde, was um Dreiteufelsnamen so einen Nürnberger wieder aufgescheucht hatte, sondern öffnete das Fenster seiner hölzernen Studierstube. Vor der Tür erkannte er die Magd seines Freundes. Es musste ernst sein, denn die einfache Frau, sie wusste wie sie sich zu benehmen hatte, und poltern gehörte nicht zu den üblichen Umgangsformen – er erwartete schlechte Nachrichten. Hermann Schedel eilte die Treppen hinab und öffnete selbst.
„Mariella, was ist? Ist was mit deinem Herrn?“
„Ja, bitte so kommt. Schnell!
„Langsam, sag mir erst: Wie schlimm ist es diesmal? Ich muss wissen, was ich mitnehmen muss?“
„Alles, schnell, kommt. Er zuckt und schreit grüne Vögel an – aber wir haben keine Vögel, das wisst Ihr doch. So schlimm war es noch nie!“
Hermann Schedel griff nach seinem Koffer, der alles enthielt, was er in Notfällen für nötig hielt. Ja, sein Freund Eberhart Mellinger hatte wieder die Fallsucht eingeholt. Die Zeit unmittelbar vor einem solchen Ereignis, da war er sehr nervös, klagte so manches Mal über Herzrasen und Schweißausbrüche, und meistens sprach er von grünen Vögeln, die sein Haupt umkreisten. Dann kam der Anfall, meist nur kurz und dann verfiel er in so etwas wie einen Dämmerschlaf. Hermann Schedel versorgte ihn regelmäßig mit Laudanum, das konnte ihn ruhigstellen. Mariella kümmerte sich um ihn, denn so manches Mal war er nicht mehr in der Lage, sich selbst die Tropfen einzuflößen. Mariella war Eberhart Mellinger ein Glücksfall, so umsichtig wie die Magd mit ihm umging. Das brauchte der Patrizier auch, denn wegen dieser Besessenheit, so betrachteten es viele, die sich mit diesem Leiden nicht auskannten, hatte er auch keine Familie, Und wenn jetzt Mariella so plötzlich zu Hermann Schedel kam, dann musste es ernst sein, sehr ernst.
Sie eilten beide über die Straße hinunter. Sie wohnten in einer guten Gegend, es war eine der wenigen Straßen, die auf dem Weg zum Zentrum gepflastert war. Mariella vorneweg und Hermann Schedel hinterher. Sein Alter erlaubte ihm nicht mehr, so rasch zu laufen, dazu kam die Feuchtigkeit, die die Pflastersteine rutschig machte. Dennoch, es dauerte nicht lange, und sie hatten das Haus in der Karolinenstraße erreicht. Mariella öffnete die Tür. Hermann Schedel folgte ihr. Es war ruhig und von Eberhart Mellinger nichts zu sehen. Sie betraten die Küche. Da lag er auf dem Boden, irgendwie lethargisch. Er war von der Bank gerutscht. Schedel kniete sich neben ihn, tätschelte ihm die Wange, um ihn zu wecken und forderte Mariella auf, Wasser zu holen, damit sie sein Gesicht erfrischen konnten. Blut floss aus seinem Mund: Der Stofffetzen hatte nicht ausgereicht, es war passiert, er hatte sich auf die Zunge gebissen. Gott sei Dank, nur seitlich, dass die Verletzungen nicht zu stark waren, aber er blutete aus dem Mund. Viel konnte Hermann Schedel im Moment nicht mehr ausrichten. Er half Mariella Eberhart Mellinger wieder auf die Ofenbank zu legen. Es wäre zu schwer gewesen, diesen Männerkörper schlaff wie er im Moment war, hinauf ins Schlafgemach zu bringen.

„Ich habe ihn auf den Markt begleitet“, berichtete Mariella, „er wollte Seide kaufen, aber auch wieder Galläpfel und beim Schmied waren wir auch, ob er noch etwas Eisen hat. Ja, seine Tinte war verbraucht. Aber schon auf dem Weg, gerade als wir wieder die Sebaldiuskirche verlassen hatten, da hat er mich gefragt, ob ich auch die grünen Vögel auf dem Kirchendach sehe. Ich habe nur ja gesagt, weil ich Angst hatte, dass er dann noch nervöser würde. Ich konnte gar nicht so rasch laufen, wie er nach Hause gegangen ist, nein, er ist mehr gerannt. Das konnte nicht gut gehen, und dann … dann bin ich einfach zu Ihnen gekommen.
Im Moment konnte Hermann Schedel nichts für seinen Freund weiter tun. Er griff in seine Tasche und entnahm ihr eine volle Phiole.
„Hier Mariella, das ist frisches Laudanum. Ich habe es erst neulich bei den Dominikanerinnen geholt, gib ihm davon etwas. Sorge dafür, dass er alle fünf Stunden drei Tropfen nimmt – nicht mehr verstehst du? Das ist sonst zu stark, und er schläft nur noch und außerdem muss ich ihm dann wieder Klistiere verbreichen. Hast du verstanden? Das wird ihn beruhigen.“ Während er noch seine Anweisungen erteilte, konnte er die Schreie, die über den Hof hallten, nicht weiter überhören. Bisher hatte Hermann Schedel diese nur unbewusst wahrgenommen, aber nun wurde es doch deutlich: Das war die schrille Stimme einer irren Frau, die an sein Ohr drangen.
„Mariella, was ist das?“
„Das ist meine Mutter.“
„Deine Mutter? Wo ist sie? Ich habe sie schon lange nicht mehr gesehen.“
„Sie lebt hinten im Geräteschuppen. Mein Herr hat mir erlaubt, sie dort unterzubringen. Aber in letzter Zeit ist es schwer mit ihr. Sie schreit immer wieder. Bisher hat sie sich von mir meist beruhigen lassen, aber sie erkennt mich nicht mehr und schickt mich immer weg.“ Und dann war der Moment, wo sich Mariella nicht mehr halten konnte. Die sonst so taffe Frau brach in Tränen aus. „Ich weiß nicht, was ich noch machen soll, mit dem Herrn und mit ihr.“
Hermann Schedel konnte im Moment nichts ausrichten. Eberhart Mellinger war erst einmal versorgt. Auch für die Mutter von Mariella gab es keine Hilfe. Er wusste, sie war verhext worden, als sie vor Monaten im Wald selbst Wutbeeren sammeln wollte. Wahrscheinlich hatte sie von den Hexenbeeren genascht, das sollte kein Weib tun, denn dann fährt eine Hexenseele durch ihren Körper. Das tut nicht gut. Da konnte auch ein studierter Arzt, wie Hermann Schedel es war, nichts ausrichten. Aber die Schreie, die in das Vorderhaus drangen, sie waren erbärmlich. 
Mariella schaute ihn mit großen Augen an. Eine Frage schien darin mitzuschwingen, und Hermann Schedel verstand.
„… und wenn es mit deiner Mutter ganz schlimm wird, kannst du ihr auch einmal einen Tropfen verabreichen. Hast du mich verstanden?“
Mariella nickte heftig. Ja, auch er hatte sie verstanden, ihre Nöte, die sie nicht auszusprechen wagte.
Für Hermann Schedel gab es heute in diesem Haus nichts mehr zu tun, und er trat den Heimweg an.


Es war der nächste Vormittag als es erneut heftig an der Tür von Hermann Schedel klopfte, wieder in einer Weise, die nichts Gutes verhieß. Der Büttel stand vor der Tür.
„Wenn Ihr mitkommen wollt!“ Ohne Gruß, keine Frage, es war ein Befehl, doch dem wollte sich Hermann Schedel nicht sofort ergeben.
„Hat Er nicht gelernt, wie Er sich einem Patrizier gegenüber zu verhalten hat?“, reagierte Hermann Schedel forsch.
„Der Bürgermeister persönlich schickt mich. Seinen Diensten werdet Ihr Euch nicht verweigern.“
„Um welche Dienste fragt er an?“
„Das hat er mir nicht gesagt. Ihr möchtet Euch sofort zum Haus des Herrn Eberhart Mellinger begeben, das in der Karolinenstraße.“
Hermann Schedel stellte keine weiteren Fragen, griff nach seinem Medizinkoffer, schob seine Füße, bekleidet mit den neusten Schnabelschuhen, auf die hölzernen Trippen. Er wollte sie sich nicht sogleich ruinieren und eilte dem Büttel hinterher.
Im Hause von Eberhart Mellinger angekommen, empfing ihn Mariella mit rotgeweinten Augen, zitternd stand sie an der Wand, und Eberhart saß auf einen geschnitzten Holzstuhl, der am Fenster stand und schaute mit leeren Augen hinaus, ansonsten wirkte er normal. Hermann Schedel konnte auf den ersten Blick nichts Ungewöhnliches in seinem Verhalten ausmachen, als der Büttel mit Kommandostimme begann:
„Ihr müsst Euch weiter bemühen, in den Gartenschuppen, dort liegt die zu untersuchende Leiche!“
Hermann Schedel folgte der Aufforderung.
„Gestern war sie noch gesund und lebendig, heute ist sie tot. Ist sie wirklich von alleine gestorben oder ist es Mord?“, kam der Gerichtsdiener sofort zur Sache.
Hermann Schedel beugte sich über den leblosen und kalten Körper der Frau. Das Gesicht der Toten war entspannt, so als wäre sie von ihrem Leiden erlöst. Hermann Schedel blickte hoch, direkt in das Gesicht von Mariella. Er hatte das Gefühl, dass er ihre Angst riechen konnte, so verschreckt und entsetzt sah sie drein. Für ihn schien sie nur noch aus ihren aufgerissenen Augen zu bestehen. Dann schaute er zum Büttel:
„Ich kann nichts Ungewöhnliches feststellen. Nirgends sehe ich irgendwelche Spuren eines Kampfes. Die Frau hat einfach aufgehört zu atmen.“
„Aber da, die Flasche. Die ist vergiftet worden!“
Hermann Schedel sah die Phiole, die er gestern Mariella überlassen hatte, um ihre Schützlinge zu beruhigen. Gestern war das Gefäß noch voll, nun war es leer. Der Arzt nahm es in die Hand, hielt es gegen das Licht und gleichzeitig suchte er den Blick von Mariella. Die Magd schien nun völlig zu erstarren.
„Das ist kein Gift! Diese Arznei habe ich vor Tagen hier in das Haus gebracht, um den Bewohnern ihr Leben zu erleichtern. Wenn Er keine anderen Hinweise hat, die auf Mord hinweisen, dann sollte Er die alte Vettel zum Kirchhof bringen und sie begraben lassen. Und in Zukunft hole Er mich nicht wegen solcher Lappalien!“
Die Häscher waren kleinlaut geworden. Doch bevor sie sich verabschiedeten, versuchten sie sich noch zu vergewissern:
„Dann können wir dem Bürgermeister berichten, dass es hier alles seine Richtigkeit hat?“
„Ja, und jetzt sieht Er zu, dass Er Land gewinnt!“
Die Männer ließen sich das nicht zweimal sagen und verließen fluchtartig das Haus von Eberhart Mellinger. Hermann Schedel griff nach seinem Koffer, und wandte sich zum Gehen, als Mariella sich vor ihn warf seine Hand ergriff und diese küsste.
„Herr …“, weiter kam sie nicht. Hermann Schedel unterbrach sie und forderte sie auf:
„Seht zu, dass ihr Herr gut versorgt bleibt.“
Dieser schien von der ganzen Aufregung in seinem Haus nur wenig mitbekommen zu haben.


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