K. Lauers Tierleben
Storchenbratze (Lat. Ciconia bractata)
der Löwenzahn beginnt zu sprießen,
wenn Blütennektar lockt die Bienen,
dann ist es Zeit nicht zu verdrießen.
Die Kröte robbt sich vor zum Teiche,
der Regenwurm durchwühlt den Acker,
am Wegrand kriecht die blinde Schleiche,
Frau Marder sucht sich ihren Macker.
Das ist die Zeit der Storchenbratze
Mit ihrer spiegelglatten Glatze.
Der Grund dahinter
Die Storchenbratze ist eines der seltsamsten Wesen auf dem Planeten Erde. Sehr lange blieb sie unentdeckt. Erst als man sich wissenschaftlich mit dem Leben der Störche auseinandersetzte, trat sie unerwartet und nicht einmal sofort in Erscheinung. Sie lebt nämlich unter den Flügeln in den Achselhöhlen des Storchenflügels und ist ganz wesentlich dafür verantwortlich, dass Störche die lange Reise in den Süden Afrikas überstehen. Forscher haben herausgefunden, dass Störche aufgrund ihrer zarten Konstitution eigentlich gar nicht für das Ausdauerfliegen geschaffen sind und man hat sich gefragt, warum sie trotzdem Strecken bis zu 10 000 km fliegen können und das gleich zweimal im Jahr. Erst als man vor wenigen Jahren Störche mit Filmkameras ausstattete, um die Flugrouten zu erforschen, hat man die bahnbrechende Entdeckung gemacht, die das Rätsel des Langstreckenflugs erklären konnte. Die unter den beiden Flügeln angebrachten Flachbildkameras offenbarten etwas Merkwürdiges. Immer wenn das Kopfprofil eines Storches zu sehen war, hatte man den Eindruck, dass der Storch wohlig lächelte. Wieder und wieder wertete man die Bilder aus, konnte aber für diese seltsame Erscheinung keine belastbare Erklärung finden. Bis eines Tages ein findiger Student an der Universität Straßburg während der fachgerechten Zerlegung eines Storches die Achselhöhlen genauer unter das Skalpell nahm. Er entdeckte am Flügelansatz ein glänzendes Etwas mit acht Beinen, acht Augen und einem langen Stechsauger am haarlosen Kopf. Sofort dachte er an eine afrikanische Spinne, die als blinder Passagier in das schöne Elsass ausgewandert war, aber die genauere Untersuchung ergab, dass es zwar einige Spinnenmerkmale aufwies, sich aber dennoch von diesen erheblich unter-schied, da es über zwei winzige Hautflügelpaare verfügte, die bei Spinnentieren so nicht vorkommen. Also hatte er sozusagen das Missing Link zwischen Insekten und Spinnen gefunden, eine Übergangsform also. War es nun Zufall oder besetzte dieses Tier gezielt eine ökologische Nische in der Achselhöhle des Storches. Der Jungforscher untersuchte nun noch andere Störche und siehe da, überall befanden in den Achselhöhlen besagte Storchenbratzen. Doch welche Dienste leistete nun diese Bratze ihrem Wirtstier, dessen Blut sie im Gegenzug trank?
Eine lange Versuchsreihe brachte es schließlich zutage: Die Storchenbratze beobachtete ihr Wirtstier beim Flug genau und immer, wenn der Storch zu ermüden drohte, fuhr sie ihre zarten Hautflügel aus und versetzte diese in starke Vibration. Die Flügelspitzen berührten nun vibrierend die sehr empfindliche Achselhöhle des Storches, der auf diese Weise gekitzelt, aufgeregt das Flügelschlagen fortsetzte, anstatt zum Landeanflug anzusetzen. So steigerte er schließlich im Laufe der Zeit seine Flugstrecke erheblich, bevor er sich zum Ausruhen wieder niederließ.
Und so ward schließlich das Rätsel des storchischen Langstreckenflugs gelöst.
Was lernen wir daraus?
1. Auch Ausdauer will gelernt sein.
2. Winzige Impulse haben oft weitreichende Konsequenzen..
3. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht kommt man oft am weitesten.
© Hans Brunswig 2015