13.5. Ruth Velser


*Ende April, Corona *

Sonnenflecken
Auf der Windschutzscheibe
Vielleicht mit den Eltern im Auto
Jahre mit Büchern + Laufen + Essen
Dazwischen Zeiten der Fülle
Jetzt Kontaktsperre:
Mein eingeschränktes Leben
Sei normal, wenn digital
Was erkaufen + welchen Stress
Verschwörungstheorien
Allheilmittel + Zauberey
Das Entsetzen klein gehalten
Durch Wegsperren hinter Glastüren
In Zahlen Buchführung der Verluste
Sie kümmern sich + erproben 1 Impfstoff
Der Benzinpreis ist unten
Der Sommer verspricht
Trocken zu werden + heiß

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*Anlässlich der Vogelgrippe*

1 Schiff kommt an. 1 Flugzeug kommt an.

Du spinnst, sagt er. Warum sagst du nicht, 1 Flugzeug hebt ab.

Bei den ersten Anzeichen ist angeraten, einen Arzt aufzusuchen. Der leitet die nötigen Maßnahmen ein. 2 Zivis begleiten dich nach Hause, versiegeln die Tür hinter dir + malen ein Kreuz auf deine Haus- bzw. Wohnungstür. Jetzt hast du noch etwa 5 Tage, an denen du essen kannst, was du willst, sofern du den Aufforderungen zur Vorratshaltung nachgekommen bist, die Bücher lesen, die du immer mal lesen wolltest + die Bilder malen, die du immer nur im Kopf hattest. Mag sein, du liegst auf dem Bett + hast nicht mal Lust, deine Lieblings-CD aufzulegen. Dann fällst du leichter in die Abwechslung von Fieber und Schüttelfrost.

Vorzugsweise in den Nächten taumeln betrunkene Horden durch die Stadt. Von der Streife lautstark gejagt. Verabredungen zu öffentlichen Orgien erfolgen über Flashmob.

Die Reichen lassen sich etwas kosten, Informationen über alternative Heilmethoden einzuholen, befragen Astrologen, suchen Bauern auf, die beispielsweise mit einer abgenutzten Wurzelbürste + eine Schüssel Wasser aus der Regentonne das böse Karma vertreiben. Eine gefleckte Dogge soll von der Krankheit genesen sein.

Obwohl es nicht gelingt, einen Impfstoff herzustellen, gibt es zunehmend Überlebende + nicht alle Menschen, die in Kontakt mit Verstorbenen waren, sterben.

Dann wird es Zeit, die Leichen zu entsorgen, sowie die verderbliche Ware in den Haushalten. Die Schuldigen werden ausgemacht. 2 Stewardessen, die den Flug der Kranken aus dem verseuchten Sperrgebiet überlebt haben, werden hingerichtet. Dass sich so was nicht wiederholt. Das eigene Leben ist nicht das höchste Gut. + bitte keine Panik.

Es geht das Gerücht, ein hoher chinesischer Würdenträger, der sich in dem fraglichem Flugzeug befunden haben soll, habe auf eine kleinen Insel überlebt + sei inzwischen in aller Stille nach Peking zurückgekehrt.
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*Damals*

In diesem Sommer war ich 15 geworden. Ich ließ meine Haare wachsen + band sie mit einem Samtband nach hinten. Ich besaß ein paar Schuhe aus schwarzem Leder + Wildleder mit kleinem Absatz, ein blaues Kleid mit weißen Punkten + ein hellgrünes mit weißen Biesen.

Meine Figur war weiter entwickelt als ich. Ich stagnierte. Nach Ausbrüchen von Gewalt + bösen Worten war ich am Familientisch + im efeuumrankten Klassenfenster mit Blick auf Bäume + Teich erstarrt.

Samstags gab es 1 Eis mit der Mutter im Eissalon am Markt. Banane, Vanille + Nuss, nachdem der Vater mit den Einkäufen von Stüßgen + dem neunen Aldi schon nach Hause gefahren war. Der schmale Raum des Cafés mit 1 Stufe, die lange Fensterfront. Der Vater hatte 32 gekauft, 4 Stücke 8 x 4 in der gerade als Parfümerie hergerichteten Drogerie. Der Straßenteer gab nach unter den Schuhen. Auch Schienen sollten geschmolzen sein, stand in der Zeitung.

Wir hatten in der Schule die Enzyklika des Papstes zur Pille gelesen. Im Zeichenunterricht malte ich über das Soll hinaus die Treppe zur Lutherkirche in südlicher Sonne + neben der Treppe einen Menschen im Schneidersitz. Auch Sonnenaufgänge durch schwarzes Geäst, Erinnerung an die winterliche Zugfahrt von Ronsdorf nach Lennep. Vergraute Menschen mit Schirmen. Den Sommer malte ich nicht.

Dieser Sommer, als sich auch in Ronsdorf die neue Zeit ankündigte. Die Geschäfte wurden mit Glas ausgestattet, der Marktplatz zu einem kleinen Park mit Teersplittbereich für ein paar Buden gestaltet. Die Menschen blieben dieselben. So wurden sie später 68er genannt.

Die Italienerin immer noch in Schwarz mit schwarzen Schlappen, die dickeren Griechinnen mit schwarzen Haarmatten. Die einsamen Türken waren noch nicht in Ronsdorf angekommen. Die letzten Ronsdorfer, die nur Platt sprachen, lagen im Sterben.

Ich würde für 3 Wochen nach England fahren. Ich würde mich heimisch fühlen in meiner Einsamkeit im fremden Land, in der fremden Stadt London. Angenehm aufgehoben in der fremden Sprache + der oberflächlichen Freundlichkeit. Auch in der Englischklasse, die Mitschüler 2 Jahre weiter, aufgrund meines älteren Aussehens.

Als die Schule im Herbst wieder begann, brauchte ich nicht davon berichten, da ich schon die 1. Frage nach der Religionszugehörigkeit der Gastfamilie nicht beantworten konnte. Dass den Fleischer die neunen Supermärkte mehr beschäftigten, als seine spirituelle Entwicklung, interessierte den Lehrer nicht. Dessen Thema: Der Vormarsch der Schwarzen auf die Viertel der Weißen in New York. Der Weg zum Londoner Vorortbahnhof führte durch die Straßen der Schwarzen. + ein schwarzer Busfahrer zeigte mir den Weg.

Warum ich London als Hoffnung nicht in mir bewahrt habe, mich der Enge nicht mehr verschloss + sie bis heute qualvoll austrage, verstehe ich nicht. Es waren Abgründe dazwischen wie der Kanal bei Seegang in der Nacht, der Weg war mir wohl zu weit wie ein allzu ferner Traum.

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*Pflicht*

Sie wollen 1 Maske
Suchen Sie sich 1 aus
Wir haben freundliche
+ unfreundliche im Angebot
Engel +Teufel
Ihr Gesicht
Lassen wir uns nicht gefallen
Sie gehen
Aber die Straße
Vor unserm Geschäft
Die machen wir weg



© Ruth Velser 2020